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Lilli Henoch

Leichtathletin, Hockey- und Handballspielerin 

geboren am 28. Oktober 1899 in Königsberg – ermordet 1942 in der Nähe von Riga 

  • zehnmal Deutsche Meisterin (Diskuswurf, Kugelstoßen, Weitsprung, 4-mal-100-Meter-Staffel)
  • zweimal Weltrekordlerin im Diskuswurf (1922: 24,90 Meter, 1923: 26,62 Meter)
  • Weltrekordlerin im Kugelstoßen (1925: 11,57 Meter)
  • Weltrekordlerin mit der 4-mal-100-Meter-Staffel (1926: 50,4 Sekunden)

„Das sympathische Fräulein Henoch ist der weibliche Nurmi“, schreibt enthusiastisch ein Sportreporter, als Lilli Henoch 1924 bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Stettin mit vier Titeln überragende Athletin wird. Der Reporter zieht damit eine Parallele zum finnischen Wunderläufer Paavo Nurmi, der in den 1920er Jahren neun olympische Goldmedaillen gewinnt und 24 Weltrekorde aufstellt. Lilli Henoch erringt zwischen 1922 und 1926 zehnmal den Titel der Deutschen Meisterin im Kugelstoßen, Diskuswurf, Weitsprung und in der 4-mal-100-Meter-Staffel. Vier Weltrekorde stellt sie auf, und nebenbei zählt sie zur Elite der deutschen Hockey- und Handballspielerinnen. Sie ist eine jener Sportlerinnen, die der jungen deutschen Frauen-Leichtathletik Weltgeltung verschaffen und den Sport der Frauen auf den langwierigen Weg der gesellschaftlichen Anerkennung und Emanzipation bringen.

Die sportliche Karriere von Lilli Henoch beginnt in Königsberg. Mit 19 Jahren zieht sie nach Berlin und setzt im Berliner Sport-Club (BSC) ihr Training fort. Ihr Hobby wird auch ihr späteres Arbeitsleben beeinflussen. 1926 absolviert sie ein Studium als Turnlehrerin und Orthopädin an der Preußischen Hochschule für Leibesübungen und verdient bis zum Jahr 1933 in diesem Beruf ihren Lebensunterhalt. Anfang der 1930er Jahre hat Lilli Henoch den Zenit ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit überschritten. Sie übernimmt nun bereitwillig Führungspositionen im Verein. Im Januar 1933 vertraut man ihr die Leitung der Damenabteilung an. Nur wenige Wochen später, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wird Lilli Henoch aus ihrem Sportclub ausgeschlossen. In der August-Ausgabe der Clubzeitung findet sich ein letztes Mal der Name der erfolgreichsten und berühmtesten Sportlerin der gesamten BSC-Vereinsgeschichte – in der Rubrik „Austritte und Streichungen“.

Sie ist zu dieser Zeit in der Leichtathletik nur noch sporadisch aktiv, formt jedoch im Jüdischen Turn- und Sportclub 1905 eine Handball-Mannschaft, die zu den besten Deutschlands im jüdischen Sport gehört. Trotz des Angebots, im Ausland als Trainerin zu arbeiten, bleibt sie in Berlin.

Von 1933 bis 1941 unterrichtet Lilli Henoch als Turnlehrerin an der Jüdischen Volksschule in der Rykestraße im Bezirk Prenzlauer Berg. Ein von den jüdischen Schulen viel genutzter Ort ist der Sportplatz der Jüdischen Gemeinde im Berliner Grunewald, wo einmal im Jahr ein überregionales Schulsportfest stattfindet, das letzte im Jahr 1938 mit 6.000 Teilnehmern. Wegen ihrer fachlichen Qualifikation und ihrer langjährigen sportlichen Erfahrung spielt Lilli Henoch hier bei der Organisation und Durchführung eine wichtige Rolle. Nach der Reichspogromnacht am 10. November 1938 muss sie allerdings auch diese Arbeit aufgeben. Lilli Henoch unterrichtet an einer jüdischen Schule in der Choriner Straße, bis 1942 sämtliche jüdischen Einrichtungen von den Behörden geschlossen werden. 

Am 5. September 1942 wird Lilli Henoch, zusammen mit ihrer Mutter, nach Riga deportiert und ermordet. 

Erst spät erinnert sich die Stadt Berlin an ihre Vorzeigeathletin. Im Prenzlauer Berg wird 1993/1994 eine Straße nach Lilli Henoch benannt. 2003 gibt die Spreewald-Grundschule ihrer Turnhalle den Namen Lilli-Henoch-Sporthalle am Winterfeldtplatz. Seit 2004 trägt das traditionelle Frauensportfest des BSC ihren Namen.

Berno Bahro

 

Weiterführende Literatur

Ehlert, Martin-Heinz: Lilli Henoch, in: Bahro, Berno/Braun, Jutta/Teichler, Hans Joachim (Hg.): Vergessene Rekorde – Jüdische Leichtathletinnen vor und nach 1933, Bonn 2010 (2. Aufl.), S. 65–76.

Bahro, Berno: Lilli Henoch and Martha Jacob – two Jewish Athletes in Germany before and after 1933, in: Sport in History 30 (2010) 2, S. 267–287.

Ehlert, Martin-Heinz: Lilli Henoch. Fragmente aus dem Leben einer jüdischen Sportlerin und Turnlehrerin, in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports 3 (1989) 2, S. 34–48.